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Mittwoch, 17. Oktober 2012

Moskau, Moskau!

...schmeiß die Gläser an die Wand" und andere Ohrwürmer verfolgten mich während meines Aufenthaltes in Moskau. Doch der Reihe nach!

Meine Freundin macht gerade ein Auslandssemester in Moskau, und wenn man schonmal die Gelegenheit hat, solch eine sagenumwobene Stadt aufzusuchen und gleichzeitig die Liebste mal wiederzusehen, dann tut man das doch. Auch wenn mit Übernachtung in ihrem Studentenwohnheim dann doch nix war, aber das ist eine längere Geschichte, die dann wieder auch irgendwie typisch russisch ist... Jedenfalls war ich da in Moskau, der Hauptstadt des sowohl geographisch, kulturell als auch sprachlich wohl entferntesten Landes, das meine nicht mehr gar so jungen Gebeine bislang betreten haben. Ich kam dahin mit mancherlei Erwartungen oder vielmehr Klischees in meinem Kopf - einige wurden voll erfüllt, einige andere nicht. Eins der voll erfüllten Klischees sieht man hier:

I
Wahrscheinlich aber doch eher ein volltrunkener Tourist als ein Russe.

Moskau ist keine schöne Stadt. Immer wiederkehrende Feuersbrünste - teils auch strategisch gelegt um dem anrückenden Feind nur verbrannte Erde zurückzulassen, Väterchen Stalin und seine Nachfolger, nichtzuletzt aber auch der Turbokapitalismus nach der Perestroika haben in der Stadt sprichwörtlich kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. Eine gewachsene Altstadt sucht man vergeblich, mit Ausnahme des Kremls; der aber immer schon mehr Burg als Stadt war und dem gemeinen Volk mithin nur in Notzeiten als Zuflucht zur Verfügung stand. Wobei andererseits der Kreml in seiner heutigen Form auch nicht soooo alt ist. Ich könnte jetzt hier ein Postkartenbild des Kremls einfügen, aber ich denke, jeder hier weiß, was man sich darunter vorzustellen hat, zumindest von außen gesehen. Drinnen waren wir nämlich auch nicht. Viel prominenter verschandeln das Stadtbild nämlich die "Sieben Schwestern", Stalins höchsteigenes Lieblingsarchitekturprojekt.

II
Hier das Appartmentgebäude auf der Moskwainsel

Zugegeben, von weitem durchaus imposant, dieser "Zuckerbäckerstil". Geht man aber näher ran, wirkt das ganze eher lächerlich. Kennt jemand den Film "Brazil"? In dem Film geht es um einen dystopischen Überwachungsstaat à la "1984", nur daß die Bürokratie so überorganisiert ist, daß sie sich selbst im Weg rumsteht. Eins der drängendsten Probleme der Bevölkerung sind nicht funktionierende Heizungs- und Klimaanlagen. Folgerichtig ist der Staatsfeind Nummer I ein freischaffender Klempner, der schwarz und als Akt der Rebellion den Leuten ihre Lüftungsgeschichten repariert.

Daran mußte ich denken, als ich dann vor dem russischen Außenministerium stand, in einer andern der "Sieben Schwestern" untergebracht:

III
Prima Klima für den russischen Außenminister und seine Mitarbeiter

Kein Einzelfall, nur halt nicht immer ganz so hübsch drapiert:

IV
Prima Klima auch im Plattenbau

In diesen beiden Bildern offenbart sich schon ein Stück weit die Widersprüchlichkeit der Stadt: Für offizielle Prestigebauten ist Geld da und da wird auch geklotzt, nicht gekleckert. Gleichfalls bei Kirchen, die allerdings anscheinend erst etwas später vom Boom profitiert haben, denn da wird allenthalben noch renoviert, und latürnich bei kapitalistischen Unternehmungen. Wohnhäuser oder auch nicht ganz so angesagte Bürohäuser wie der oben gezeigte Klotz sehen dagegen oft recht schäbig aus. Auch auf den Straßen bietet sich ein ähnliches Bild: Während die Oberklasse mit Mercedes G-Klasse (natürlich mit Brabus- oder AMG-getuntem V8), Porsche oder BMW - in der Freizeit wahlweise auch als Aushilfsrocker auf der Harley - die überbreiten Boulevards für sich beansprucht (und das ist wörtlich gemeint!), fährt die Mittelklasse U-Bahn und die Unterklasse steht vor den Stationen und bettelt oder bietet Kleinscheiß feil, um die kärgliche oder nicht vorhandene Rente aufzubessern. Davon leider keine Bilder, aber mit U-Bahn kann ich dienen:

V
Pozilisten mit U-Bahn-Prunk

Die Metrostationen, gerade im innerstädtischen Bereich, sind oft reichlich prunkvoll gestaltet, die abgebildete (möglicherweise Park Kultury?) war da noch eher harmlos, was die Protzerei angeht. Abgesehen davon ist die Moskauer Metro eines der effizientesten Massentransportmittel, das ich je benutzen durfte. Nur eins darf man da nicht sein: Behindert. Kann man im Rollstuhl mit Tricks oder Hilfe die bis zu 150 langen Rolltreppen vielleicht gerade noch meistern...

VI
Gerade noch so zu erahnen am Fuß der Treppe: Ein Häuschen, in dem der/die Treppenkontrolleur/in sitzt. Alles, was diese(r) anscheinend zu tun hat, ist: Die Rolltreppen bei Bedarf an- oder abzuschalten bzw. die Richtung umzukehren.

...so sind meist spätestens die letzten paar Stufen ans Tageslicht aus der Station heraus nicht gerollt, sondern herkömmlich. Von abgesenkten Bordsteinen ganz zu schweigen. Und am Beispiel des Treppenkontrolleurs (siehe BUZ) sieht man wieder die Widersprüchlichkeit des ganzen Systems: Es gibt ein automatisches Ein- und Auslaßsystem, Kassenautomaten und überhaupt werden Stellen eingespart, wo's nur geht. Aber diese alten Väterchen und Mütterchen haben ihren Arbeitsvertrag wahrscheinlich noch von Stalin höchstselbst unterzeichnet bekommen, und solange, bis die abnippeln, wird die Rolltreppe eben von Hand bedient.

Kreativ auch der Umgang anderswo mit kommunistischen Denkmälern. Im Norden von Moskau befindet sich so eine Art stalinistisches Freilichtmuseum, wo in bester Posermanier jede ehemalige Sowjetteilrepublik in einem noblen Pavillon hren Beitrag zum Sieg des Proletatiats präsentieren durfte. In Pavillon No. Adno (Eins) dagegen hauste die Assemblija Narodow Russii, die russische Nationalversammlung, ein mehr repräsentativen und folkloristischen Zwecken dienendes Komitee ohne wirklichen politischen Einfluß, aber immerhin mit dem schicksten Pavillon seit der Akropolis und phatter Leninstatue (nicht im Bild) vor der Haustür. Und was findet sich dort heute drin?

VII
Immerhin, Stalin hatte auch einen Schnurrbart, mwahahaha!

Wer kein russisch kann und sich's nicht schon anhand des Bildes denken kann: Das Plakat wirbt für eine Kätzchenausstellung. Außerdem in Pawiljon No. 1: ein Heavy Metal-Plattenladen.

Weiter hinten in dem durchaus hübsch angelegten Park gab's dann noch eine echte Wostokrakete zu bewundern. Das sind die Dinger, mit denen damals die ersten Satelliten (Sputnik=Begleiter), das erste irdische Lebewesen überhaupt (ein Hund namens Laika) sowie der erste Mensch (Juri Gagarin) ins All befördert wurden.

VIII
Nicht im Bild: Das Kaffee direkt daneben mit riesigem Coca Cola-Schild.

Diesen Helden der sowjetische Raumfahrt gilt auch dieses Denkmal, das im Sockel übrigens ein Museum beinhaltet (laut Aussage einer Moskauerin durchaus sehenswert, aus Zeitgründen leider nicht angeguckt):

IX
Per aspera ad astra! Das gilt nicht für den gelangweilten Pozilisten.

Eins muß man ihnen lassen, den Russen: Ingenieursmäßig haben sie echt was drauf. Allerdings scheinen sie Sachen niemals zuende zu denken. Mit der Metro ist man ratzfatz von einem Ende zum anderen Ende der Stadt gefahren, nur um dann das doppelte der Fahrzeit zu investieren, um eine Unter- oder Überquerung für eine solche (nicht untypische) Moskauer Kreuzung zu finden:

X
Das Gebäude ist übrigens sowas wie der Bundesrechnungshof, wörtlich steht da drauf "Rechenpalast der russischen Föderation"

Kosmonauten ins All zu schicken war wohl einfacher als eine vernünftige Stadtplanung, die auch Fußgänger berücksichtigt!

Und damit möchte ich meinen kleinen Exkurs auch beenden. Vieles gäbe es noch zu erzählen, z.B. von der Lada-Tuningszene, die sich allabendlich auf Parkplätzen in der ganzen Stadt versammelt, von Frauen, die zu Pferde betteln, von Katzen, die ich selbst in einer haustierunfreundlichen Stadt wie Moskau anzuziehen scheine, von deutscher Bratwurst und den Scorpions, vom Gorkipark und einem berühmten Kinderkarussel und von sich drehenden Räumen... Doch das sind andere Geschichten, die ein andermal bebildert werden wollen. Und dann natürlich die eingangs erwähnte Geschichte, die ich aber nur hinter vorgehaltener Hand und am Lagerfeuer zum Besten geben werde.

Na sdarowje - auf die Gesundheit!

PS: Mir wurde zugetragen, mein Text komme sehr negativ rüber. Das war gar nicht so meine Absicht. Sicher, ich bleibe dabei, Moskau ist wirklich keine Schönheit und als Fußgänger hat man's schwer, vom Dasein als Rollstuhlfahrer ganz zu schweigen (Andererseits stehen die Autofahrer auch ständig im Stau. :D). Doch abgesehen von Verkehrschaos, Protzbauten und stadtplanerischen Katastrophen gibt es wirklich sehr schöne Parks, viele nette und interessante Menschen, tolle Clubs und Kneipen (bei den Clubs muß ich mich auf die Angaben meiner Freundin verlassen, das mit den Kneipen kann ich bestätigen) und eine erfreulich hohe Anzahl von leicht durchgeknallten Typen. Leben möchte ich nicht in Moskau, aber ich würde jederzeit wieder hinfahren!

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Eingestellt von Erik Am/um

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